Wo der Pfeffi wächst

Fliesentisch und Pfefferminzlikör? Der Schnaps ist längst kein Ostklischee mehr. Seit der Wende findet das Getränk aus der ehemaligen DDR immer mehr Fans in ganz Deutschland.

Text: Tomke Giedigkeit
Fotos: Catherine Schultze

„Einmal Luftholen, bitte.“ Wer mit diesen Worten an der Theke bestellt, möchte einen Shot Berliner Luft ordern. Die Flaschen mit türkisem Etikett werden seit 1950 auf einem alten Hof in Kaulsdorf – am östlichen Rand von Berlin produziert, dort wo bereits spitzgiebelige Einfamilienhäuser die alte Dorfstraße säumen. Aber hey, immer noch Berlin. Genau darauf setzt die Marke Berliner Luft.

„Wir kommunizieren nicht, dass wir ein Ostprodukt sind“, sagt Felix Zocher, „sondern dass wir ein Berliner Produkt sind.“ Er ist Vertriebsleiter bei Schilkin, dem Produzenten der Berliner Luft. Berlin zieht, der Absatz steigt: Im vergangenen Jahr um 30 Prozent auf etwa 6,5 Millionen Flaschen. Und davon gehen viele Kästen in den ehemaligen Westen, vor allem nach Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Junge Leute und Studenten haben den Likör mit zu ihren Freunden in die westdeutsche Heimat gebracht und so das Produkt dort bekannter gemacht, vermutet Zocher.

„Ob aus Ost oder West, das ist den Konsumenten egal.“

Vertriebsleiter Felix Zocher

 „Berliner Luft hat mit den 21- bis 35-Jährigen die jüngste Konsumentengruppe unter den deutschen Spirituosen“, sagt Zocher. Den Mauerfall kennt diese Generation nur aus Erzählungen. „Ob das Produkt aus Ost oder West kommt, ist den Konsumenten egal. Das spielt keine Rolle mehr.“ Das ostdeutsche an Berliner Luft bleibt also nur die Produktion auf Ostberliner Boden.

Kann Spuren von Ostalgie enthalten

Wer Pfeffi sagt, meint meist den Nordbrand Pfefferminzlikör aus dem thüringischen Nordhausen. Seit 1952 wird der ausgeschenkt. Im gleichen Jahr in dem die DDR-Fußballnationalmannschaft ihr erstes offizielles Länderspiel kickte – so steht es auf der Unternehmens-Webseite, als gebe es keinen anderen Vergleich. Prinzipiell werden die Daten zur eigenen Historie mit der DDR-Vergangenheit verknüpft: So waren zum Beispiel 1959, als der erste Trabi vom Band lief, 181.000 Liter Pfeffi produziert. Pfeffi, das ist für manche wohl auch ein bisschen Ostalgie in Flaschen.

„Im Westen explodiert der Markt.“

Nordbrand-Sprecher Ulrich Ehmann

Und das Konzept scheint aufzugehen. Der Absatz des Pfefferminzlikörs wächst. In den vergangenen fünf Jahren deutschlandweit um 177 Prozent auf über sieben Millionen verkaufte Flaschen jährlich. Und das vor allem in den neuen Bundesländern. Aber: „Auch im Westen explodiert der Markt“, sagt Nordbrand-Sprecher Ulrich Ehmann. Dort sei das Absatzvolumen 2019 im Vergleich zum Vorjahr um 23 Prozent gestiegen, hauptsächlich durch junge Leute. Damit die das Getränk kennenlernen, tourte in den vergangenen zwei Jahren ein Bus durch Deutschland – besser gesagt durch Westdeutschland. Nur drei der 38 Haltestellen lagen im Osten, dem traditionellen Pfeffiterritorium.

Das Unternehmen kämpft dafür, dass man bei Pfeffi an den giftgrünen Nordbrand-Schnaps denkt. Andere Pfefferminzliköre, die den Hashtag #Pfeffi verwendeten, wurden nach deren Aussage bereits abgemahnt.

Noch immer ein ostdeutsches Produkt?

Sarah Stiller setzt darauf, dass der Post-Wende-Generation Nachhaltigkeit wichtig ist – auch beim Pfeffi im Schnapsglas. Die 34-jährige Leipzigerin kennt Pfeffi vor allem aus den Geschichten ihrer ostdeutschen Eltern. Mit ihrem Mitgründer Johannes Münch bereitet Stiller aktuell die Präsentation ihres neuen Bio-Pfefferminzlikör vor.

Ihr selbst produzierter Pfefferminzlikör „Pfff“ geht hauptsächlich im Osten über die Theken der Clubs und Bars. „Es ist ein ostdeutsches Produkt“, sagt Stiller. Im Süden und Westen der Republik sei der Vertrieb, abgesehen von ein paar Liebhabern, schwieriger. Deswegen sind die Gründer viel auf westdeutschen Messen unterwegs, um das Produkt auch zwischen Ruhrgebiet und Bodensee bekannt zu machen.

Vom Osten inspiriert – im Westen produziert

Da wo der Pfeffi wächst, wird auch eigener Pfefferminzlikör hergestellt und abgefüllt. Die Inspiration für die Starke Pfefferminze kam für den Mainzer Gründer Jonas Müller-Kriz aus dem Osten. Ein Freund brachte ihm aus Leipzig ein paar Flaschen Nordbrand Pfefferminzlikör mit. Weil der Anfang der 2010er-Jahre noch nicht flächendeckend in Westdeutschland erhältlich war, orderten sie öfter bei ihrem Freund in Leipzig.

Da kamen sie auf die Idee, Pfefferminzlikör einfach selbst zu produzieren. Sie experimentierten mit Speisealkohol und verschiedenen Minzsorten bis das Rezept gefunden war. Mit 20,5 Prozent Alkohol ist der Mainzer Pfefferminzlikör stärker als die heutigen Rezepturen der ostdeutschen Klassiker. In Mainzer Bars gibt es beides: Die schon in der DDR populäre Berliner Luft und die neue Starke Pfefferminze aus Westdeutschland. Als Einheit hinter dem Tresen.

Birnenpfeffi mit Zimt – ein Cocktailrezept

Pfefferminzliköre werden klassisch als kalter Shot serviert. Doch Pfeffi-Fans haben auch eigene Cocktails kreiert, zum Beispiel den Pfeffi-Kokos-Cocktail oder Berliner Mojito – mit Berliner Luft statt Rum. Wer es experimenteller mag, folgt dem musikalischen Rat des Chemnitzer Rappers Trettmann:

Also: Ne Birne, davon ne Scheibe und dann Pfeffi rein!
Dann erstma’ umrühr’n. Dann Zimt drüber streuen!
Eiskalt muss er sein, damit’s schmeckt, weeßte?!

Aus Birnenpfeffi mit Zimt (Tanz auf dem Vulkan, Trettmann 2013)

Tomke Giedigkeit

Tomke Giedigkeit

Kate Schultze

Kate Schultze

Tomke Giedigkeit kennt Pfeffi erst seit ihrem Studium in Dresden, Catherine Schultze schon seit ihrer Jugend. Für die Recherche haben sie mit Pfeffi-Experten telefoniert, das Werksgelände der Berliner Luft besucht und in Mainzer Bars Pfefferminzlikör aus Ost und West probiert.