Gefangen in Intrigen

Er galt immer als Kommunistenfresser. Nun wird dem CDU-Politiker Dieter Dombrowski vorgeworfen, mit den Linken gemeinsame Sache gemacht zu haben. Die Geschichte einer politischen Verwicklung.

Text: Teresa Roelcke
Fotos: Suzanne de Carrasco

Der CDU-Politiker Dieter Dombrowski steht drei Etagen über dem ehemaligen Arbeitszimmer des Stasi-Ministers Erich Mielke und wartet darauf, dass sich eine Kamera auf ihn richtet. Für ein Interview hat er ein Fernsehteam in diesen Raum bestellt. Ein schwerer Schreibtisch, ein paar Stuhlreihen, viel Licht, das durch die großen Fenster auf die hölzerne Einrichtung fällt.

Als es die DDR noch gab, besprachen hier Parteifunktionäre, wie sie staatsfeindliche Aktivitäten ihrer Bürger aufspüren könnten. Dombrowski saß selbst 20 Monate lang in einem Stasi-Gefängnis, wegen versuchter Republikflucht. Heute ist er es, der dem Land erklären will, warum die Linkspartei ein Verhängnis ist. Dombrowski blickt hinaus auf die glitzernde Kugel des Fernsehturms auf dem Alexanderplatz in Berlin.

Der 68-jährige Dombrowski ist vieles zugleich: Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. In der CDU leitet er den Kreisverband Havelland, er war einmal umweltpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Brandenburgischen Landtag und Generalsekretär der Partei in Brandenburg. Im Jahr 2009, als Abgeordneter der CDU, kam er einmal in seiner ehemaligen DDR-Häftlingskluft in den Brandenburger Landtag, um gegen die Vereidigung der ersten rot-roten Landesregierung zu protestieren: Zwei Politiker, die den Koalitionsvertrag unterzeichneten, hatten für die Stasi gespitzelt.

Das Fernsehteam will ihn in der Rolle sehen, in der er sich wohl fühlt: als „Kommunistenfresser“. Seit einem Jahr allerdings muss Dombrowski sich mit dem Vorwurf herumschlagen, in eine angebliche Intrige der Berliner Linkspartei verwickelt zu sein. Dombrowski fixiert die Fernsehkamera und sagt: „Wenn Linke über einen Systemwechsel fantasieren und ausführen, was sie darunter verstehen, dann wird das nicht genauso ernst genommen wie das, was der Flügel von der AfD so von sich gibt.“ Nur ja keine Milde gegenüber etwaigen Kommunisten: Dombrowski hat sein Revier neu markiert.

Als Chef der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft sitzt Dombrowski im Stiftungsrat der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Als es noch keine Gedenkstätte war, zu Zeiten der DDR, war es ein Stasi-Gefängnis. Für Dombrowski ist dieser Ort ein Mahnmal für erlittenes Unrecht.

Ein Politikum: Die Entlassung von Hubertus Knabe

Allerdings ist die Gedenkstätte inzwischen auch der Austragungsort eines politischen Konflikts. Als Mitglied im Stiftungsrat war Dieter Dombrowski an der einstimmigen Entscheidung beteiligt, Hubertus Knabe, den langjährigen Leiter der Gedenkstätte, im November 2018 zu entlassen. Der Stiftungsrat sah es als erwiesen an, dass Knabe über Jahre hinweg seinen Stellvertreter gedeckt habe, der junge Mitarbeiterinnen der Gedenkstätte sexuell belästigt haben soll. Der Stellvertreter wurde entlassen. Nach einer Krisensitzung des Stiftungsrats wurde auch Knabe gefeuert, der Chef persönlich.

Zum Politikum wurde der Fall, weil sich Knabe als scharfer Kritiker der Linkspartei profiliert hatte, die für ihn nichts weiter ist als eine gehäutete SED. Das macht die ganze Angelegenheit so kompliziert: In seiner Aversion gegen den Kommunismus ist sich Dombrowski mit dem geschassten Knabe einig, aber Dombrowski kam nicht umhin, Knabes Entlassung wegen der Vorwürfe der belästigten Frauen mitzutragen. Mit einem Mal muss er sich vorhalten lassen, er mache gemeinsame Sache mit seinem politischen Gegner, der Linken.

Dombrowski sagt: „Ich bin politisch in der Beurteilung der Linkspartei in der Vergangenheit und auch heute mit Dr. Knabe immer einig gewesen, aber als Leiter einer Einrichtung hat er seine Gesamtverantwortung für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unzureichend wahrgenommen.“ So steif drückt sich Dombrowski oft aus, als gäbe er eine offizielle Erklärung ab.

Eine Verschwörung?

Handelte es sich bei Knabes Entlassung um eine „Strafaktion“ gegen einen „politisch Unangepassten“, wie es in dem Brief von vier Frauen hieß, die gegen Knabes Entlassung protestierten und von denen drei aus dem Beirat der Stiftung austraten? War es eine „Amtsanmaßung“ durch Dombrowski? Eine Intrige, angezettelt vom linken Berliner Kultursenator Klaus Lederer, der dem Stiftungsrat vorsitzt? Im Februar dieses Jahres hat das Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen, den Untersuchungsausschuss „Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen“ einzusetzen. Die Berliner CDU-Spitze spricht öffentlich sogar vom „Untersuchungsausschuss Lederer“.

„Knabes Entlassung ist für mich ein Unding“, sagt der CDU-Politiker Kurt Wansner am Telefon. Er ist gerade bei Parteifreunden in Bayern, als er sagt: „Ich halte Knabe für unverzichtbar, für das, was wir gerade jetzt wieder dringend brauchen: für die DDR-Aufarbeitung.“ Wansner, Westberliner, Jahrgang 1947, sitzt im Berliner Abgeordnetenhaus. Die Telefonverbindung ist schlecht, aber Wansner ist kaum zu bremsen: Dass gerade ein Senator der Linkspartei an Knabes Absetzung beteiligt gewesen sei, das sei sehr verdächtig. Eine Verschwörung also?

Der Berliner CDU-Politiker Kurt Wansner im Berliner Abgeordnetenhaus.
Kurt Wansner findet es verdächtig, dass ein Linksparteimitglied an der Entlassung Hubertus Knabes beteiligt war.

Einige Tage später, auf dem roten Teppich im Foyer des Berliner Abgeordnetenhauses, spricht Wansner langsamer, überlegter. Er lispelt leicht, und ihm ist der Berliner Dialekt anzuhören. „Entsetzt“ sei er gewesen von Dieter Dombrowskis Entscheidung, die Entlassung Knabes mitzutragen. „Gerade er hätte eine andere Entscheidung fällen müssen!“ In der CDU-Fraktionssitzung nach der Entlassung hätten die Abgeordneten „vor Wut geschnaubt“.

Dass Dombrowski nach sorgsamer Abwägung aller Möglichkeiten gute Gründe für die Entscheidung gehabt haben könnte, den Schutz der Gedenkstättenmitarbeiterinnen nämlich, schließt Wansner aus. „Nicht im Ansatz nachvollziehbar“ sei die Entscheidung. War nicht auch die CDU-Politikerin Monika Grütters, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur, in die Entscheidung einbezogen? Das schon, aber die Ministerin, sagt Wansner, sei in dieser Angelegenheit viel zu weit weg gewesen. Er raunt etwas von manipulierten Akten, hat dafür aber keine Belege.

Dieter Dombrowski sitzt in einem Büro der Union der Opferverbände, die Beine übereinandergeschlagen. Jeden Donnerstag kommt er hierher. Er sagt: „Ich erwarte von dem Untersuchungsausschuss überhaupt keine verwertbaren Ergebnisse.“ Während er redet, beißt er hin und wieder von der Stulle ab, die in einer Brotdose liegt. Die Angriffe seiner CDU-Kollegen nach der Entlassung Knabes hätten ihn nicht berührt, behauptet Dombrowski. Je mehr Fragen man ihm zu diesem Thema stellt, desto knapper werden seine Antworten.

Die Frau des Vorsitzenden

Die Bürotür wird geöffnet. Dombrowski wird von den Besuchern des WDR erwartet. Er soll jetzt vor die Kamera. Zurück bleibt die Mitarbeiterin, die eben noch eine Wasserflasche und ein paar Gläser auf den Tisch im Büro gestellt hat. Sie stellt sich als Dieter Dombrowskis Ehefrau vor, Petra Dombrowski, sagt, sie sei in der Organisation für die Koordination der Mitgliedsverbände zuständig. Ihren Mann nennt sie nicht Dieter, sondern „den Vorsitzenden“.

Sie habe aus der Nähe erlebt, wie hat hart die politischen Auseinandersetzungen um „den Vorsitzenden“ gewesen seien. Sie lacht ein bisschen ungläubig, als sie sich daran erinnert, dass ihr Mann einer kommunistischen Intrige verdächtigt wurde. Noch immer ist Petra Dombrowski erstaunt, wie manche Frauen aus den Opferverbänden reagiert hätten: Auch sie hätten die Aussagen der belästigten Frauen angezweifelt, hätten mit Transparenten für Knabe demonstriert und behauptet, „das sei alles von der Stasi gesteuert gewesen“.

Politischer Brei

Mit einem breiten Lächeln sitzt der CDU-Politiker Kurt Wansner in einem Sessel im Foyer des Berliner Abgeordnetenhauses. Er reibt sich die Hände mit einem Papiertaschentuch ab, auf das er vorher Desinfektionsmittel geträufelt hat. Während er redet und irgendwann auch die Überwachung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz fordert, wischt er sich mit dem Taschentuch immer wieder den Mund und die Nase ab. Die Regierungskrise in Thüringen, die Knabe-Krise, die Dombrowski-Krise, die CDU-Krise, alles vermengt sich in Wansners Sätzen zu einem politischen Brei.

Schließlich sagt er: „Wir erleben ja gerade massiv den Versuch, die DDR-Geschichte umzuschreiben, zum Beispiel in Thüringen durch Bodo Ramelow.“ Seiner Meinung nach hätte die CDU bei der Ministerpräsidentenwahl gegen Ramelow stimmen müssen. Aber was tat die CDU? Sie half der Linkspartei dabei, deren Galionsfigur Ramelow zum Regierungschef in Thüringen zu machen. Steckt also im Konflikt um die Entlassung Knabes ein riesengroßes Problem der CDU – eines mit sich selbst?

Dieter Dombrowski sitzt mit einem Handy in der Hand auf dem Fensterbrett im ehemaligen Sitzungsraum in der ehemaligen  Stasizentrale. Neben ihm steht sein Pressesprecher.
Im Konflikt um die Entlassung von Hubertus Knabe überblenden sich Vergangenheit und Gegenwart.

Das Kamerateam des WDR hat Dieter Dombrowski gebeten, sich mit seinem Handy auf das Fensterbrett zu setzen. Dombrowski soll nicht immer nur frontal zu sehen sein. Bereitwillig lässt sich Dombrowski platzieren und beleuchten, bis ihm schließlich ein Tablet in die Hand gedrückt wird. Er sagt: „Ich mach‘, was Sie wollen! Solange ich nicht aus dem Fenster springen soll.“

Dann fällt ihm etwas aus seiner Familiengeschichte ein. Von seinen sieben Geschwistern, sagt er, seien sechs in der DDR aus politischen Gründen ins Gefängnis gesteckt worden. Eine seiner Schwestern saß in Haft, weil sie als Botin einen Brief aus dem Gefängnis in den Westen schmuggelte. Jetzt, da Dombrowski nicht mehr in die Kamera spricht, wird sein Ton flapsiger. „Heute muss man sich schon große Mühe geben, in den Knast zu kommen. Da reicht ja nicht mal ein Totschlag aus.“

Während er darauf wartet, dass die Fernsehaufnahmen endlich fortgesetzt werden, schlängelt sich sein Pressesprecher durch die leeren Stuhlreihen und kommt zu ihm. Er muss seinen Chef unbedingt sprechen. Dombrowski hat vorhin vor laufender Kamera erklärt, dass der Streit um den Unrechtsstaat DDR so überflüssig sei wie ein Kropf: Ein Staat, in dessen Verfassung „Diktatur des Proletariats“ gestanden habe, sei selbstverständlich keine Demokratie gewesen.

Der Pressesprecher hat nachgeschaut und sagt zu seinem Chef: „Das Wort Diktatur steht natürlich nicht in der Verfassung. Das haben Sie wohl auch nicht gemeint, oder?“ Dombrowski scheint es gewohnt zu sein, nicht korrigiert zu werden, schon gar nicht, wenn es um kommunistische Gewalt geht. Er schaut den Pressesprecher streng an und sagt: „Doch, Diktatur des Proletariats!“

Teresa Roelcke

Suzanne de Carrasco

Teresa Roelcke und Suzanne de Carrasco sind so tief in CDU-Welten eingetaucht wie nie zuvor. In unbenutzt wirkenden Räumen der ehemaligen Stasi-Zentrale haben sie dampfenden Kaffee vorgefunden. Auf dem Weg aus dem Gebäude hätten sie sich allerdings fast in einem Treppenhaus mit lauter verschlossenen Türen verloren.